Seit dem Ende der legendären YZF-R6 klafft eine riesige Lücke im Sportler-Programm von Yamaha. Zwischen der auf die Landstraße fokussierten R7 und dem reinrassigen Superbike R1 liegt ein ganzes Universum. Die Yamaha R9 ist die logische, von Tausenden von Fahrern herbeigesehnte Antwort, um diese Lücke zu schließen. Basierend auf der gefeierten MT-09-Plattform, hat sie das Potenzial, die Klasse der alltagstauglichen Supersportler neu zu definieren. Was können wir also aus technischer Sicht von der R9 erwarten?
Das Herzstück: Warum der CP3-Motor die perfekte Basis ist
Es ist davon auszugehen, dass die R9 zu 100 % auf den 890-Kubik-„Crossplane“-Dreizylinder der aktuellen MT-09 setzen wird. Mit rund 119 PS und 93 Nm Drehmoment ist dieser Motor die ideale Basis für einen Supersportler, der auch auf der Landstraße funktionieren muss. Seine Charakteristik ist eine brillante Mischung aus dem druckvollen Drehmoment eines Zweizylinders im unteren und mittleren Bereich und der Drehfreude eines Vierzylinders oben heraus. Im Gegensatz zum reinen Drehzahl-Fokus der alten R6 wird die R9 eine Meisterin des Kurvenausgangs sein – angetrieben von sattem Drehmoment statt schreiender Spitzenleistung.

Tipp von Mathias Kalb: Wer heute schon einen Vorgeschmack auf den Motorcharakter der R9 bekommen möchte, sollte eine ausgiebige Probefahrt mit der aktuellen MT-09 SP machen. Das Gefühl für den CP3-Motor, seine Leistungsentfaltung und der Sound werden zu 95 % identisch mit dem sein, was die R9 bieten wird.
Erwartete Technische Daten der Yamaha R9 (2025)
Merkmal | Erwartete Daten |
Motor | Flüssigkeitsgekühlter 3-Zylinder-Reihenmotor, DOHC, CP3 |
Hubraum | 890 cm³ |
Leistung | ca. 87,5 kW (119 PS) bei 10.000 U/min |
Drehmoment | ca. 93 Nm bei 7.000 U/min |
Sitzhöhe | ca. 825 – 835 mm |
Gewicht (fahrfertig) | ca. 195 – 199 kg |
Fahrwerk | Voll einstellbare KYB-Elemente (wahrscheinlich auf SP-Niveau) |
Elektronik | 6-Achsen IMU, Kurven-ABS, Traktionskontrolle, Slide Control |
Preis (Deutschland) | ca. 14.500 € (geschätzt) |
Fahrwerk und Bremsen: Die logische „SP“-Evolutionsstufe
Um im Supersport-Segment ernst genommen zu werden, muss das Fahrwerk exzellent sein. Es ist daher logisch anzunehmen, dass die R9 nicht das Standard-Fahrwerk der MT-09, sondern die hochwertigeren, voll einstellbaren Komponenten der MT-09 SP erben wird. Das bedeutet eine KYB-Gabel mit DLC-Beschichtung und ein Öhlins-Federbein am Heck. Gepaart mit den hervorragenden Radial-Bremsen der MT-09 wird die R9 ein extrem präzises und Vertrauen erweckendes Fahrverhalten bieten, das sowohl für die Rennstrecke als auch für die Landstraße perfekt geeignet ist.
Der Ingenieur-Kompromiss: Drehmoment statt Drehzahl-Orgie
Der Wechsel vom Vierzylinder der R6 zum Dreizylinder des CP3-Motors ist ein bewusster und intelligenter Kompromiss. Wer sich für die R9 entscheidet, erhält ein deutlich breiter nutzbares Drehzahlband und mehr Druck im für die Landstraße relevanten Bereich. Im Gegenzug opfert man das letzte Quäntchen an Spitzenleistung und das hysterische, süchtig machende Ausdrehen bis 16.000 U/min, das die R6 ausgezeichnet hat. Die R9 wird ein effizienteres, aber weniger extremes Motorrad sein.

Elektronik und Ergonomie: Sportlich, aber nicht radikal
Die R9 wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das volle Elektronikpaket der MT-09 SP übernehmen. Das bedeutet eine 6-Achsen-IMU, die schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Slide Control, Wheelie Control und Kurven-ABS steuert. Die Ergonomie wird sportlich sein – mit Stummellenkern und zurückverlegten Rasten –, aber vermutlich nicht so radikal und Handgelenk-mordend wie bei der alten R6. Man kann eine Positionierung ähnlich der Aprilia RS 660 erwarten: sportlich genug für die Rennstrecke, aber noch komfortabel genug für eine ausgedehnte Tagestour.
Der „Preis eines Fehlers“: Die Erwartung einer neuen R6
Der größte Fehler, den ein potenzieller Käufer machen könnte, wäre, die R9 als direkten Nachfolger der R6 zu sehen.
- Problem: Ein Purist erwartet den hochfrequenten Schrei und das explosive Top-End eines Vierzylinder-Supersportlers.
- Lösung: Das Konzept verstehen: Die R9 ist ein Supersportler, der vom Drehmoment des CP3-Motors lebt, nicht von der Drehzahl.
- Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Der Fahrer wird enttäuscht sein, weil der Motor nicht „kreischt“ und die Leistung viel früher und linearer einsetzt. Die „Kosten“ sind eine fundamentale Fehleinschätzung des Charakters des Motorrads. Die R9 ist nicht die Wiedergeburt der R6, sie ist eine komplett neue Philosophie.
Der Vergleich: Wo wird sich die R9 im Supersport-Segment positionieren?
Die R9 wird in eine Lücke stoßen, die derzeit von wenigen, aber starken Konkurrenten besetzt ist.
Modell | Motor | Charakter | Stärken | Schwächen |
Yamaha R9 (erwartet) | 3-Zylinder-Reihe | Der agile Alleskönner | Drehmomentstarker CP3-Motor, Top-Elektronik, Balance | Weniger Spitzenleistung als V2 |
Ducati Panigale V2 | 90°-V-Twin | Die italienische Diva | Emotionaler V2-Motor, Top-Fahrwerk, Premium-Marke | Hoher Preis, anspruchsvoller im Handling |
MV Agusta F3 | 3-Zylinder-Reihe | Der exotische Schreihals | Hochdrehender Motor, extremes Design, Exklusivität | Extrem teuer, Zuverlässigkeit, Ergonomie |

Die Ducati ist die teurere, anspruchsvollere Premium-Wahl. Die MV Agusta ist der exklusive Exot. Die Yamaha R9 wird sich als der zugängliche, zuverlässige und vom Preis-Leistungs-Verhältnis her wahrscheinlich intelligenteste Supersportler in dieser Klasse positionieren.
Fazit: Ist die R9 das Motorrad, auf das alle gewartet haben?
Ja, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Die Yamaha R9 hat das Potenzial, ein sofortiger Bestseller zu werden. Sie kombiniert den wahrscheinlich besten Motor der Mittelklasse mit einem erprobten, agilen Chassis, einem kompletten Elektronikpaket und einer sportlichen, aber alltagstauglichen Ergonomie.
Sie wird nicht die radikale Rennstrecken-Waffe sein, die die R6 war. Sie wird etwas viel Besseres sein: ein Supersportler für die reale Welt. Ein Motorrad, das auf dem Weg zur Arbeit genauso viel Spaß macht wie beim Knieschleifen auf dem Circuit. Wenn Yamaha die Erwartungen erfüllt, wird die R9 nicht nur eine Lücke füllen – sie wird ein neues Zentrum im Universum der Sportmotorräder schaffen.