Triumph Scrambler 1200 XE / X (2025) im Test: Der König aller Scrambler?

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

Der Begriff „Scrambler“ wurde in den letzten Jahren oft für reine Design-Übungen missbraucht. Triumph tritt mit der Scrambler 1200 den ultimativen Gegenbeweis an. Dieses Motorrad ist kein Blender, sondern die wohl fähigste und am hochwertigsten ausgestattete Interpretation eines modernen Scramblers auf dem Markt. Mit der Aufteilung in die zugänglichere X-Variante und die kompromisslose Offroad-Waffe XE stellt sich jedoch eine entscheidende Frage: Wie viel Scrambler braucht man wirklich, und ist die XE die Krönung der Schöpfung oder ein Fall von „Over-Engineering“?

Das Herzstück: Der Charakter des 1200er Bonneville-Twins

Im Zentrum beider Modelle schlägt der bekannte „High Power“ Parallel-Twin aus der Bonneville mit 1200 Kubik. Dank der 270-Grad-Kurbelwelle klingt und fühlt er sich an wie ein potenter V2. Für den Scrambler-Einsatz wurde er auf maximales Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich abgestimmt. Mit 90 PS und bulligen 110 Nm bei nur 4.250 U/min liefert der Motor einen souveränen, druckvollen Antritt, der perfekt zum Charakter des Motorrads passt. Er ist kein hochdrehender Sportmotor, sondern ein bärenstarker, elastischer Partner, der auf der Landstraße ebenso souverän agiert wie bei niedrigen Drehzahlen auf einer Schotterpiste.

Tipp von Mathias Kalb: Der Sound der hochgelegten Auspuffanlage ist fantastisch, aber die Abwärme am rechten Bein ist bei langsamem Stadtverkehr spürbar. Hochwertige, dickere Motorradjeans oder -hosen sind hier nicht nur eine Frage des Stils, sondern auch des Komforts.

X vs. XE: Zwei Brüder, zwei Philosophien

Obwohl sie sich den gleichen Motor und Rahmen teilen, sind die X und die XE zwei grundverschiedene Motorräder. Der Unterschied liegt in den Fahrwerkskomponenten und der Geometrie.

Merkmal
Scrambler 1200 X
Scrambler 1200 XE
Fokus
Straße & leichtes Gelände
Hardcore-Offroad & Straße
Federweg (v/h)
170 mm / 170 mm (Marzocchi)
250 mm / 250 mm (Marzocchi)
Fahrwerk
Einstellb. Vorspannung hinten
Voll einstellbar vorne & hinten
Sitzhöhe
820 mm
870 mm
Bremsen vorne
Nissin Axial-Sättel
Brembo Stylema® Radial-Sättel
Elektronik
5 Modi, Kurven-ABS/TC
6 Modi inkl. „Offroad Pro“
Preis (Deutschland)
ab 14.995 €
ab 16.495 €

Die X ist das deutlich zugänglichere, alltagstauglichere Motorrad. Ihre niedrigere Sitzhöhe und der kürzere Federweg machen sie für eine breitere Masse von Fahrern beherrschbar. Die XE ist ein kompromissloses Statement. Mit 250 mm Federweg, voll einstellbaren Marzocchi-Elementen und Brembo-Stylema-Bremsen ist sie auf einem Niveau mit reinrassigen Reiseenduros.

Der Ingenieur-Kompromiss: Der Preis des langen Federwegs

Die extreme Offroad-Kompetenz der Scrambler 1200 XE hat einen physikalisch unvermeidbaren Preis: die Sitzhöhe. Wer sich für die 250 mm Federweg entscheidet, muss mit einer Sitzhöhe von 870 mm leben. Dieser Kompromiss macht die XE für Fahrer unter 1,85 m im Stadtverkehr und beim Rangieren zu einer echten Herausforderung. Man wählt die maximale Geländegängigkeit und opfert dafür die Leichtigkeit und Zugänglichkeit im Alltag. Die Existenz der X-Variante ist Triumphs clevere Antwort auf genau diesen Kompromiss.

Offroad-Performance: Wie schmutzig darf es wirklich werden?

Mit der XE: sehr schmutzig. Das 21-Zoll-Vorderrad, die langen Federwege und die stehende Ergonomie machen sie zu einer Waffe im Gelände. Sie schluckt Bodenwellen, springt über Kuppen und zieht stoisch durch tiefen Sand. Der „Offroad Pro“-Modus, der ABS und Traktionskontrolle komplett deaktiviert, verwandelt sie in den Händen eines Experten in ein echtes Rally-Bike. Die X-Version ist eher für Schotterpisten und Feldwege geeignet, wo ihr kürzerer Federweg immer noch mehr als ausreichend ist.

Der „Preis eines Fehlers“: Die falsche Modellwahl

Der größte Fehler, den ein Käufer begehen kann, ist die Wahl des falschen Modells aus den falschen Gründen.

  • Problem: Ein hauptsächlich auf der Straße fahrender Pilot mit 1,75 m Körpergröße kauft die XE, weil sie das „Topmodell“ mit den „besseren“ Komponenten ist.
  • Lösung: Eine ehrliche Selbsteinschätzung und die Wahl der X-Version.
  • Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Der Fahrer wird mit der hohen Sitzhöhe permanent kämpfen, an jeder Ampel unsicher sein und das Potenzial des teuren Fahrwerks niemals nutzen. Die „Kosten“ sind hier nicht nur die 1.500 € Aufpreis, sondern ein massiver Verlust an Vertrauen, Sicherheit und letztlich Fahrspaß. Man hat das beste Werkzeug für den falschen Zweck gekauft.

Der Vergleich im Premium-Retro-Segment

Die Scrambler 1200 hat eine einzigartige Position, da sie Stil und echte Offroad-Fähigkeit kombiniert.

Modell
Motor
Charakter
Stärken
Schwächen
Triumph Scrambler 1200 XE
2-Zylinder-Reihe
Der authentische Abenteurer
Echte Offroad-Kompetenz, Top-Komponenten, Stil
Extrem hohe Sitzhöhe, Auspuff-Hitze
Ducati Scrambler 1100 Pro
L-Twin
Der stylische Straßenfeger
Emotionaler Motor, agiles Handling, Design
Kaum Offroad-tauglich, einfacheres Fahrwerk
BMW R nineT Scrambler
2-Zylinder-Boxer
Der puristische Customizer
Ikonischer Boxer-Motor, hohe Qualität, Customizing
Sehr einfache Ausstattung, primär für die Straße

Die Ducati und die BMW sind wunderschöne „Style-Scrambler“ für die Straße. Die Triumph ist die einzige Maschine in diesem Trio, die ihre optischen Versprechungen mit echter, kompromissloser Geländegängigkeit untermauert.

Fazit: Für wen ist die Scrambler 1200 der heilige Gral?

Die Triumph Scrambler 1200 ist das perfekte Motorrad für den erfahrenen Fahrer, der die zeitlose Ästhetik eines Klassikers liebt, aber keine Kompromisse bei Performance und echter All-Terrain-Fähigkeit eingehen will.

  • Die XE ist die kompromisslose Wahl für den Abenteurer, der ein Motorrad sucht, das auf dem Weg zum Café genauso gut aussieht wie auf einem abgelegenen Gebirgspass.
  • Die X ist die intelligentere, zugänglichere Wahl für 90 % der Fahrer – sie bietet den gleichen fantastischen Motor und Stil in einem deutlich alltagstauglicheren und beherrschbareren Paket.

Triumph hat es geschafft, ein Motorrad zu bauen, das nicht nur authentisch aussieht, sondern sich auch so anfühlt und dabei die Performance einer modernen Reiseenduro bietet. Das ist keine kleine Leistung. Das ist die Definition eines Königs.

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