In einer Zeit, in der Motorräder mit immer mehr Elektronik, Leistung und Komplexität aufwarten, wirkt die Suzuki V-Strom 650 beinahe wie ein Anachronismus. Und genau das ist ihre größte Stärke. Sie ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen, behutsamen Evolution, nicht einer sprunghaften Revolution. Ihr Fokus liegt nicht auf Superlativen, sondern auf den grundlegenden Tugenden des Motorradfahrens: Zuverlässigkeit, Vielseitigkeit und purer, unkomplizierter Fahrspaß. Ist diese „Weniger-ist-mehr“-Philosophie im Jahr 2025 noch konkurrenzfähig?
Das Herzstück: Die Magie des 90-Grad-V-Twins
Der 645-Kubik-V-Twin-Motor ist eine Legende und der Hauptgrund, warum die V-Strom eine so treue Fangemeinde hat. Mit 71 PS und 62 Nm Drehmoment ist er kein Leistungsmonster, aber seine Charakteristik ist brillant. Der Motor liefert einen wunderbar sanften, aber druckvollen Schub aus dem Drehzahlkeller und begeistert mit einem charakterstarken, pulsierenden Lauf, den nur ein V2 bieten kann. Er ist extrem elastisch, verzeiht schaltfaules Fahren und fühlt sich in jeder Lebenslage souverän an. Vor allem aber ist er für seine schier unzerstörbare Zuverlässigkeit bekannt. Es ist kein Zufall, dass dieser Motor die Herzen von Pendlern, Tourenfahrern und Weltreisenden gleichermaßen erobert hat.

Tipp von Mathias Kalb: Die V-Strom 650 verfügt über eine zweistufige Traktionskontrolle. Stufe 2 ist sehr defensiv und ideal für Regen oder rutschigen Untergrund. Für 95 % aller Fahrten auf trockener Straße empfehle ich jedoch, das System auf Stufe 1 zu belassen oder sogar zu deaktivieren (nur im Stand möglich), um das volle, authentische Feedback und den puren Charakter des V2-Motors zu erleben.
Technische Daten der Suzuki V-Strom 650 (2025)
Merkmal | Daten |
Motor | Flüssigkeitsgekühlter 90°-V-Twin-Motor, DOHC |
Hubraum | 645 cm³ |
Leistung | 52 kW (71 PS) bei 8.800 U/min |
Drehmoment | 62 Nm bei 6.300 U/min |
Sitzhöhe | 835 mm |
Gewicht (fahrfertig) | 213 kg |
Tankinhalt | 20 Liter |
Preis (Deutschland) | ab 9.100 € (Stand 2025) |
Fahrverhalten und Komfort: Der Meister der Balance
Die V-Strom 650 ist kein spezialisiertes Sport- oder Offroad-Gerät; sie ist der ultimative Allrounder. Das Fahrwerk ist auf einen exzellenten Kompromiss aus Komfort und Stabilität ausgelegt. Es bügelt schlechte Straßen souverän glatt, bietet aber genug Reserven für eine flotte Kurvenfahrt. Das Handling ist neutral, intuitiv und absolut vertrauenerweckend. Man fühlt sich vom ersten Meter an wohl auf der V-Strom. Die Ergonomie ist aufrecht und entspannt, der Windschutz erstaunlich gut und der große 20-Liter-Tank ermöglicht Reichweiten von über 400 Kilometern. Sie ist eine Maschine, mit der man morgens zur Arbeit pendeln und am Nachmittag spontan zu einer Alpenüberquerung aufbrechen kann.
Der Ingenieur-Kompromiss: Evolution statt Revolution
Die V-Strom 650 ist das Ergebnis einer bewussten Entscheidung für bewährte, ausgereifte Technik. Wer sich für die V-Strom entscheidet, erhält ein Motorrad, das bis zur letzten Schraube auf Zuverlässigkeit und Langlebigkeit optimiert ist. Im Gegenzug opfert man die neuesten technologischen Features. Das Cockpit ist ein klassisches Analog-Digital-Mischinstrument anstelle eines modernen TFT-Displays. Das Fahrwerk ist traditionell und nicht elektronisch einstellbar. Die Elektronik beschränkt sich auf das Nötigste. Der Kompromiss lautet: Man tauscht den „Wow-Faktor“ modernster Technologie gegen das unbezahlbare Vertrauen in ein Motorrad, das einfach immer funktioniert.

Ausstattung und Details: Pragmatisch bis ins Detail
Jedes Detail an der V-Strom ist auf Funktion ausgelegt. Der serienmäßige Gepäckträger ist massiv und praxisgerecht. Die Bordsteckdose ist selbstverständlich. Features wie der „Low RPM Assist“, der die Drehzahl beim Anfahren leicht anhebt, und das „Suzuki Easy Start System“, das nur einen kurzen Druck auf den Starterknopf erfordert, sind kleine, aber im Alltag extrem nützliche Helfer. Hier geht es nicht um Show, sondern um clevere, durchdachte Lösungen.
Der „Preis eines Fehlers“: Das Motorrad unterschätzen
Der größte Fehler, den ein erfahrener Fahrer machen kann, ist die V-Strom 650 aufgrund ihrer bescheidenen Leistungsdaten zu unterschätzen.
- Problem: Ein Fahrer, der von einem 120-PS-Bike kommt, versucht, die V-Strom durch aggressives Bremsen und Beschleunigen am Limit zu bewegen.
- Lösung: Den Fahrstil anpassen und die Stärken des Motorrads nutzen: den Schwung in die Kurve mitnehmen, auf die saubere Linie konzentrieren und das satte Drehmoment am Kurvenausgang nutzen.
- Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Der Fahrer wird das Fahrwerk überfordern und die Bremsen als zu schwach empfinden. Die „Kosten“ sind hier Frustration und die falsche Einschätzung, ein „langsames“ Motorrad zu fahren. In Wahrheit kann eine gut gefahrene V-Strom auf einer kurvigen Landstraße mit deutlich stärkeren Motorrädern mithalten, weil ihr ausbalanciertes Chassis und der berechenbare Motor es dem Fahrer erlauben, konstant schnell und flüssig zu fahren.
Der Vergleich in der Alleskönner-Klasse
Die V-Strom 650 behauptet sich seit Jahren gegen starke Konkurrenten.
Modell | Motor | Charakter | Stärken | Schwächen |
Suzuki V-Strom 650 | 90°-V-Twin | Der unzerstörbare Alleskönner | Extrem zuverlässig, V2-Charakter, Komfort, Preis | Veraltete Technik, hohes Alter des Konzepts |
Yamaha Tracer 7 | 2-Zylinder-Reihe | Der agile Sport-Tourer | Emotionaler Motor, Agilität, leicht, modern | Weniger komfortabel, weniger robust anmutend |
Kawasaki Versys 650 | 2-Zylinder-Reihe | Der kultivierte Gleiter | Laufruhiger Motor, guter Windschutz, Ausstattung | Weniger Charakter, weniger Offroad-Flair |

Die Yamaha Tracer 7 ist die sportlichere und modernere Wahl. Die Kawasaki Versys 650 ist die komfortablere, auf die Straße fokussierte Alternative. Die Suzuki V-Strom 650 ist die robusteste, vielseitigste und vom Motor her charakterstärkste Option.
Fazit: Für wen ist die V-Strom 650 die ewige Antwort?
Die Suzuki V-Strom 650 ist das perfekte Motorrad für den pragmatischen Fahrer, für den das Fahren selbst im Vordergrund steht – nicht das Motorrad. Sie ist die ideale Wahl für Pendler, Tourenfahrer, Wiedereinsteiger und sogar Weltreisende, die ein absolut zuverlässiges, unkompliziertes und wirtschaftliches Fahrzeug suchen, das sie niemals im Stich lässt.
Sie wird niemals einen Innovationspreis gewinnen. Sie wird keine Blicke auf sich ziehen wie ein italienischer Exot. Aber sie wird ihren Besitzer treu und zuverlässig überall dorthin bringen, wo er hinmöchte. Sie ist keine aufregende Affäre, sie ist der Partner fürs Leben. Und in ihrer unprätentiösen, ehrlichen Art ist sie vielleicht eines der besten Motorräder, das je gebaut wurde.
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