In einer Flut von Retro-Bikes, die oft mehr Schein als Sein bieten, steht die Kawasaki Z900RS wie ein Monument. Sie ist keine halbherzige Neuauflage, sondern eine tiefgründige, meisterhaft umgesetzte Hommage an eines der wichtigsten Motorräder aller Zeiten: die Kawasaki Z1 von 1972. Doch kann sie mehr als nur gut aussehen? Verbirgt sich unter der bildschönen Hülle aus Tropfentank und Rundscheinwerfer ein Motorrad, das auch den anspruchsvollen Fahrer des 21. Jahrhunderts überzeugt?
Das Herzstück: Wie authentisch kann ein moderner Vierzylinder klingen?
Der 948-Kubik-Reihenvierzylinder basiert auf dem potenten Aggregat der modernen Z900, wurde aber für seinen Einsatz in der RS fundamental neu abgestimmt. Mit 111 PS und 98,5 Nm Drehmoment liegt der Fokus klar auf einer fülligen, souveränen Leistungsentfaltung im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Dies ist kein hochdrehender Schreihals, sondern ein kultivierter, bärenstarker Gentleman. Die wahre Ingenieursleistung liegt jedoch im Sound-Engineering: Die Z900RS ist das erste Kawasaki-Modell mit einem akustisch abgestimmten Auspuff. Das Ergebnis ist ein tiefer, sonorer und charaktervoller Klang, der das Fahrerlebnis dominiert und eine verblüffende Nähe zum mechanischen Grollen des luftgekühlten Originals herstellt, ohne dabei aufdringlich zu sein.

Tipp von Mathias Kalb: Die Traktionskontrolle (KTRC) ist in zwei Stufen einstellbar. Stufe 1 ist sportlich und erlaubt leichten Schlupf. Stufe 2 ist auf maximale Sicherheit bei Nässe ausgelegt. Für 90 % der trockenen Landstraßenfahrten ist Stufe 1 die perfekte Wahl, da sie den puren Charakter des Motors nicht unnötig einbremst.
Technische Daten der Kawasaki Z900RS / SE (2025)
Merkmal | Z900RS | Z900RS SE |
Motor | Flüssigkeitsgekühlter 4-Zylinder-Reihenmotor, DOHC | (identisch) |
Hubraum | 948 cm³ | (identisch) |
Leistung | 82 kW (111 PS) bei 8.500 U/min | (identisch) |
Drehmoment | 98,5 Nm bei 6.500 U/min | (identisch) |
Sitzhöhe | 835 mm | 835 mm |
Gewicht (fahrfertig) | 215 kg | 215 kg |
Fahrwerk hinten | Horizontal Back-link, einstellbar | Öhlins S46 Monofederbein |
Bremsen vorne | 300-mm-Scheiben, radiale 4-Kolben-Sättel | Brembo M4.32 Monoblock-Sättel |
Preis (Deutschland) | ab 12.995 € | ab 14.495 € |
Fahrverhalten: Fährt sie sich so gut, wie sie aussieht?
Ja, und das ist ihre größte Überraschung. Trotz der klassischen, aufrechten Ergonomie und des Retro-Looks verbirgt sich unter dem Blech ein modernes, kompetentes Fahrwerk. Der Gitterrohrrahmen sorgt für eine hohe Steifigkeit. Das Motorrad lenkt neutral und präzise ein, bleibt in Kurven stabil und ist erstaunlich agil für seine Gewichtsklasse. Es vermittelt vom ersten Meter an ein Gefühl von Vertrauen und Souveränität.
Die SE-Version: Ist das Öhlins-Gold den Aufpreis wert?
Für den anspruchsvollen Fahrer: absolut. Das Standard-Fahrwerk der Z900RS ist gut, aber für sehr sportliche Gangart tendenziell etwas zu komfortabel abgestimmt. Die SE-Version mit dem Öhlins S46-Federbein am Heck, einer angepassten Gabel und den bissigeren Brembo-Bremsen transformiert das Fahrverhalten. Sie bietet deutlich mehr Dämpfungsreserven, ein transparenteres Feedback und eine höhere Präzision im Grenzbereich. Die SE ist nicht nur eine optische Aufwertung, sondern ein echtes Performance-Upgrade, das aus einem sehr guten Motorrad ein exzellentes macht.

Design und Qualität: Eine Zeitreise in Perfektion
Hier lässt Kawasaki nichts anbrennen. Die Verarbeitungsqualität ist auf einem extrem hohen Niveau. Die Lackierung, insbesondere das legendäre „Jaffa“-Orange, ist tief und makellos. Details wie die polierten Kühlrippen-Attrappen am Zylinderkopf, die analogen „Tacho-Becher“ mit dem zentralen Digital-Display und die formschöne „Entenbürzel“-Heckpartie sind eine liebevolle und perfekt umgesetzte Verbeugung vor der Z1. Man spürt an jeder Schraube, dass dieses Motorrad ein Herzensprojekt war.
Der Ingenieur-Kompromiss: Moderne Reifen für eine klassische Seele
Die Z900RS hat die Performance eines modernen Naked Bikes, aber die Ergonomie eines Klassikers. Wer sich für die entspannte, aufrechte Sitzposition entscheidet, opfert das letzte Quäntchen Vorderrad-Gefühl, das ein modernes Super-Naked mit seiner „Attacke-Haltung“ bietet. Der wichtigere Kompromiss liegt jedoch beim Fahrer selbst: Um das moderne Fahrwerkspotenzial nutzen zu können, braucht die RS moderne Sport- oder Sporttouring-Reifen. Der Versuch, aus optischen Gründen Reifen mit klassischem Profil zu montieren, wäre ein fataler Fehler.
Der „Preis eines Fehlers“: Falsche Reifenwahl
- Problem: Ein Fahrer montiert aus ästhetischen Gründen einen Reifen mit klassischem Blockprofil.
- Lösung: Verwendung eines modernen Radialreifens, der für das Gewicht und die Leistung der Z900RS freigegeben ist.
- Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Der Reifen überhitzt schnell, bietet deutlich weniger Grip in Schräglage und bei Nässe und hat ein instabiles, teigiges Fahrverhalten. Die „Kosten“ sind nicht nur der Preis für einen ungeeigneten Reifensatz (ca. 300-400 €). Der wahre Preis ist der komplette Verlust des exzellenten Handlings und ein massives Sicherheitsrisiko. Man degradiert ein 111-PS-Motorrad fahrdynamisch auf das Niveau seines 50 Jahre alten Vorbilds.
Der Vergleich im Retro-Ring: Kawasaki vs. Triumph vs. Yamaha
Die Z900RS trifft auf starke Konkurrenten mit ganz eigenen Philosophien.
Modell | Motor | Charakter | Stärken | Schwächen |
Kawasaki Z900RS | 4-Zylinder-Reihe | Der kultivierte Athlet | Authentisches Design, seidenweicher Motor, Top-Handling | Basis-Fahrwerk etwas weich, Elektronik simpel |
Triumph Speed Twin 1200 | 2-Zylinder-Reihe | Der britische Gentleman-Boxer | Bulliges Drehmoment, edles Finish, agil | Weniger Spitzenleistung, strafferes Fahrwerk |
Yamaha XSR900 | 3-Zylinder-Reihe | Der extrovertierte Rebell | Emotionaler Motor, Top-Elektronik, leicht | Polarisierendes 80er-Jahre-Design, nervöser |

Die Triumph ist der direkte Konkurrent in Sachen klassischer Eleganz, aber mit Twin-Charakter. Die Yamaha ist die technologisch überlegene, aber stilistisch deutlich modernere und aggressivere Wahl. Die Kawasaki ist die authentischste Hommage an die goldene Ära der japanischen Vierzylinder.
Fazit: Für wen ist die Kawasaki Z900RS die perfekte Zeitmaschine?
Die Kawasaki Z900RS ist das perfekte Motorrad für den stilbewussten Genießer, der die Ästhetik der 70er Jahre liebt, aber auf die Zuverlässigkeit, Performance und Sicherheit eines modernen Motorrads nicht verzichten will. Sie ist die ideale Wahl für den erfahrenen Fahrer, der ein unkompliziertes, wunderschönes und bärenstarkes Bike für die Feierabendrunde und die Wochenend-Tour sucht.
Sie ist der Beweis, dass Nostalgie nicht bedeuten muss, auf Fahrspaß zu verzichten. Sie ist keine Kopie, sondern eine respektvolle, brillante Neuinterpretation eines Meilensteins. Sie ist vielleicht das beste Retro-Bike auf dem Markt, weil sie es schafft, nicht nur so auszusehen wie das Original, sondern sich auch so anzufühlen, wie man sich an das Original erinnern möchte – nur in jeder Hinsicht besser.
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