Kawasaki Vulcan S (2025) im Test: Der Cruiser für Individualisten?

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

Das Cruiser-Segment wird von einer ungeschriebenen Regel dominiert: dem Dogma des V-Twin-Motors. Kawasaki bricht mit der Vulcan S bewusst mit dieser Tradition und wählt einen komplett anderen, rein ingenieurgetriebenen Ansatz. Anstelle eines stampfenden V2-Motors implantiert Kawasaki den drehfreudigen Parallel-Twin aus der 650er-Plattform in ein modernes Cruiser-Chassis. Gepaart mit dem einzigartigen Ergo-Fit-System zur individuellen Anpassung der Ergonomie, entsteht ein Motorrad, das weniger auf Nostalgie und mehr auf den Fahrer im Hier und Jetzt abzielt. Ist dieser pragmatische Ansatz die Zukunft des Cruiser-Segments?

Der Motor: Warum ein Reihen-Zweizylinder in einem Cruiser Sinn macht

Der flüssigkeitsgekühlte 649-Kubik-Parallel-Twin ist das Herzstück und zugleich der größte Streitpunkt der Vulcan S. Er wurde für den Cruiser-Einsatz auf mehr Drehmoment im unteren und mittleren Bereich abgestimmt und leistet 61 PS. Im Gegensatz zu einem traditionellen V-Twin fehlt ihm das tieffrequente, unregelmäßige Pulsieren. Stattdessen bietet er eine lineare, berechenbare Leistungsentfaltung und eine für Cruiser untypische Drehfreude. Er stampft nicht, er surrt. Aus technischer Sicht ist dieser Motor einem luftgekühlten V-Twin in fast allen Belangen überlegen: Er ist effizienter, thermisch stabiler, vibrationsärmer und bietet ein breiteres nutzbares Drehzahlband. Er ist die logische, wenn auch nicht die emotionalste Wahl.

Tipp von Mathias Kalb: Der Motor der Vulcan S will und kann gedreht werden. Scheuen Sie sich nicht, die Gänge weiter auszufahren als bei einem traditionellen Cruiser. Der wahre Fahrspaß entfaltet sich im mittleren Drehzahlbereich, wo der Motor seine sportlichen Gene aus der Z650 und Ninja 650 nicht verleugnen kann.

Das Ergo-Fit-System: Ein Motorrad nach Maß?

Das Ergo-Fit-System ist das zweite geniale Merkmal der Vulcan S und eine brillante, fahrerzentrierte Lösung. Es ermöglicht dem Händler, das Motorrad (oft kostenlos beim Neukauf) an die Körpergröße des Fahrers anzupassen. Drei Komponenten können variiert werden:

  • Fußrasten: Drei Positionen (Standard, 25 mm vor, 25 mm zurück).
  • Sitz: Drei Varianten (Standard, „Reduced Reach“ für kleinere Fahrer, „Extended Reach“ für größere Fahrer).
  • Lenker: Zwei Varianten (Standard, „Reduced Reach“, der näher am Fahrer ist).

Durch die Kombination dieser Teile kann eine nahezu maßgeschneiderte Ergonomie für fast jede Statur geschaffen werden. Dies macht die Vulcan S zu einem der zugänglichsten und komfortabelsten Motorräder in ihrer Klasse, insbesondere für Fahranfänger, Frauen und sehr große oder kleine Fahrer.

Technische Daten der Kawasaki Vulcan S (2025)

Merkmal
Daten
Motor
Flüssigkeitsgekühlter 2-Takt-Parallel-Twin, DOHC
Hubraum
649 cm³
Leistung
44,7 kW (61 PS) bei 7.500 U/min
Drehmoment
62,4 Nm bei 6.600 U/min
Sitzhöhe
705 mm
Gewicht (fahrfertig)
229 kg
Tankinhalt
14 Liter
Preis (Deutschland)
ab 8.545 € (Stand 2025)

Fahrverhalten: Kann ein Cruiser sportlich sein?

Im Rahmen seiner physikalischen Grenzen: ja. Die Vulcan S überrascht mit einem agilen und sehr neutralen Handling. Der schlanke Rahmen, der lange Radstand und das gut abgestimmte Fahrwerk mit dem charakteristischen, liegenden Federbein sorgen für eine hohe Fahrstabilität. Im Vergleich zu vielen traditionellen Cruisern bietet sie eine beachtliche Schräglagenfreiheit. Man kann mit ihr Kurven deutlich flotter und präziser durchfahren, als es die entspannte Optik vermuten lässt. Sie ist kein Sportmotorrad, aber definitiv einer der sportlichsten Cruiser auf dem Markt.

Der Ingenieur-Kompromiss: Moderne Logik vs. traditionelle Emotion

Die gesamte Vulcan S ist ein Kompromiss zugunsten der fahrerischen Logik. Wer sich für den drehfreudigen, effizienten und zuverlässigen Parallel-Twin entscheidet, opfert bewusst das emotionale Erlebnis eines V-Twins – das tiefe Grollen, das charakteristische Pulsieren, den „Potato-Potato“-Sound. Man wählt ein Motorrad, das aus technischer Sicht in fast jeder Hinsicht „besser“ ist, aber aus puristischer Sicht die Seele des klassischen Cruiser-Konzepts vermissen lässt. Es ist die Wahl zwischen Kopf und Herz.

Der „Preis eines Fehlers“: Das Ergo-Fit-System zu ignorieren

Der größte Fehler, den ein Käufer machen kann, ist die Anschaffung einer Vulcan S „von der Stange“, ohne die Möglichkeiten des Ergo-Fit-Systems zu nutzen.

  • Problem: Ein 1,95 m großer Fahrer kauft ein Standardmodell und fühlt sich nach 30 Minuten eingeengt. Eine 1,60 m kleine Fahrerin kauft dasselbe Modell und erreicht die Rasten und den Lenker nur mit Mühe.
  • Lösung: Eine 15-minütige Beratung beim Händler, um die perfekten Ergo-Fit-Komponenten (Sitz, Rasten, Lenker) auszuwählen und montieren zu lassen.
  • Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Das Motorrad passt nicht. Unbehagen, mangelnde Kontrolle und schneller Ermüdung sind die Folge. Die „Kosten“ sind hier der komplette Verlust des Fahrkomforts und der Sicherheit. Man ignoriert das wichtigste und cleverste Feature des Motorrads und macht aus einem potenziell perfekten Bike ein unpassendes.

Der Vergleich im modernen Cruiser-Segment

Die Vulcan S konkurriert mit anderen unkonventionellen Cruisern für die A2-Klasse und darüber hinaus.

Modell
Motor
Charakter
Stärken
Schwächen
Kawasaki Vulcan S
2-Zylinder-Reihe
Der sportliche Pragmatiker
Ergo-Fit-System, agiles Handling, drehfreudiger Motor
Wenig Cruiser-Emotion, Sound
Honda CMX500 Rebel
2-Zylinder-Reihe
Der stylische Minimalist
Extrem zugänglich, leicht, Customizing-Potenzial
Weniger Leistung, sehr kompakt
Royal Enfield Super Meteor 650
2-Zylinder-Reihe
Der klassische Gleiter
Authentischer Retro-Look, sattes Fahrgefühl, Preis
Hohes Gewicht, schwache Leistung

Die Honda Rebel ist der minimalistische, stylische Konkurrent, der noch zugänglicher ist. Die Royal Enfield ist die traditionellere, auf entspanntes Gleiten ausgelegte Alternative. Die Kawasaki Vulcan S ist die mit Abstand sportlichste und anpassungsfähigste Option in dieser Gruppe.

Fazit: Für wen ist die Kawasaki Vulcan S gebaut?

Die Kawasaki Vulcan S ist das perfekte Motorrad für den individualistischen Denker. Sie ist für Fahrer, die das Cruiser-Gefühl von Entspanntheit und niedriger Sitzhöhe wollen, sich aber nicht den traditionellen Dogmen von V-Twin-Motoren und schwerfälligem Handling unterwerfen möchten. Sie ist eine exzellente Wahl für Fahranfänger (A2-drosselbar), Wiedereinsteiger und alle, die aufgrund ihrer Körpergröße bisher Schwierigkeiten hatten, ein passendes Motorrad zu finden.

Sie wird niemals das Herz eines V-Twin-Puristen gewinnen. Aber sie wird jeden überzeugen, der ein logisches, durchdachtes, spaßiges und unglaublich vielseitiges Motorrad sucht. Sie ist kein traditioneller Cruiser – und genau das macht sie so gut.

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