Honda Africa Twin Adventure Sports ES (2025) im Test: Die Legende neu definiert?

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

In einer Welt immer leistungsstärkerer und komplexerer Reiseenduros ist die Honda Africa Twin so etwas wie ein Fels in der Brandung. Sie folgt nicht dem Ruf nach maximaler Spitzenleistung, sondern dem Versprechen von absoluter Zuverlässigkeit, echter Geländetauglichkeit und unendlicher Tourenkompetenz. Die Adventure Sports ES-Version ist dabei die technologische Krönung: mit größerem Tank, besserem Windschutz und dem semi-aktiven Showa EERA-Fahrwerk soll sie die ultimative Maschine für die Weltumrundung sein. Doch ist diese Fokussierung auf Balance und Haltbarkeit noch zeitgemäß im Kampf der 150-PS-Giganten?

Das Herz: Warum sind 102 PS genug?

Der 1.084-Kubik-Parallel-Twin der Africa Twin ist ein Meisterstück des pragmatischen Motorenbaus. Er leistet 102 PS und liefert 112 Nm Drehmoment. Im direkten Vergleich zur Konkurrenz sind das bescheidene Werte. Doch wer die Africa Twin nur nach ihren Daten beurteilt, hat ihr Konzept nicht verstanden. Der Motor ist auf maximale Fahrbarkeit und ein breites, nutzbares Drehmomentband ausgelegt. Er liefert seine Kraft extrem linear und berechenbar, mit einem satten Pulsieren, das an einen V2 erinnert. Diese Charakteristik ist im anspruchsvollen Gelände Gold wert, wo eine feinfühlige Dosierbarkeit wichtiger ist als explosive Leistung. Auf der Straße sorgt sie für ein souveränes, stressfreies Fahren. Dieser Motor will die Welt nicht in Brand setzen, er will sie zuverlässig umrunden.

Die DCT-Frage: Automatik oder Sakrileg?

Das optionale Doppelkupplungsgetriebe (DCT) ist seit Jahren das kontroverseste und gleichzeitig innovativste Merkmal der Africa Twin. Es ist kein Roller-Automatik, sondern ein computergesteuertes Getriebe, das blitzschnelle, nahtlose Gangwechsel ermöglicht – entweder vollautomatisch oder manuell per Tasten am Lenker.

  • Vorteile im Gelände: In technischen Passagen kann sich der Fahrer voll auf die Linienwahl und Balance konzentrieren, ohne sich um Kupplung und Schalthebel kümmern zu müssen. Abwürgen des Motors ist unmöglich.
  • Vorteile auf der Straße: Unvergleichlicher Komfort im Stadtverkehr und auf langen Touren. Jeder Schaltvorgang ist perfekt, es gibt keine Zugkraftunterbrechung.
  • Analogie: Das DCT verhält sich zum manuellen Getriebe wie ein modernes AF-System in einer Profi-Kamera zum manuellen Fokussieren. Der Profi kann manuell perfekte Ergebnisse erzielen, aber das automatische System ist in 95 % der Fälle schneller, präziser und reduziert die Fehlerquote drastisch.

Technische Daten der Africa Twin Adventure Sports ES (2025)

Merkmal
Daten
Motor
Flüssigkeitsgekühlter 2-Zylinder-Reihenmotor, 270° Kurbelwelle
Hubraum
1.084 cm³
Leistung
75 kW (102 PS) bei 7.500 U/min
Drehmoment
112 Nm bei 5.500 U/min
Sitzhöhe
835 / 855 mm (optional niedriger)
Gewicht (fahrfertig)
243 kg (DCT: 253 kg)
Tankinhalt
24,8 Liter
Fahrwerk (ES)
Showa EERA™, semi-aktiv, 45 mm USD-Gabel / Pro-Link
Federweg (v/h)
210 mm / 200 mm
Preis (Deutschland)
ab 19.590 € (ES mit DCT, Stand 2025)

Fahrwerk und Handling: Wie intelligent ist Showa EERA?

Das semi-aktive Showa Electronically Equipped Ride Adjustment (EERA) Fahrwerk der Adventure Sports ist ein entscheidendes Upgrade. Es passt die Dämpfung von Gabel und Federbein in Echtzeit (innerhalb von 15 Millisekunden) an den Fahrbahnzustand und den gewählten Fahrmodus an. Zudem kann die Federvorspannung elektronisch für verschiedene Beladungszustände eingestellt werden. Das Ergebnis ist eine enorme Spreizung: Auf der Autobahn bietet das System einen schwebenden Komfort, auf kurvigen Landstraßen die nötige Straffheit und im Gelände ein sensibles Ansprechverhalten, das maximale Traktion generiert. Es verwandelt die Africa Twin in einen technologischen Tausendsassa.

Der Ingenieur-Kompromiss: Zuverlässigkeit vs. Leichtbau und Spitzenleistung

Die Africa Twin ist durch und durch auf absolute Robustheit und Langlebigkeit ausgelegt. Wer sich für dieses Konzept entscheidet, akzeptiert bewusst die damit verbundenen Kompromisse. Um maximale Stabilität und Zuladung zu gewährleisten, ist der Rahmen massiv und das Leergewicht mit über 240 kg hoch. Um eine legendäre Zuverlässigkeit zu garantieren, wird der Motor nicht an sein Leistungslimit getrieben. Der Kompromiss lautet also: Man opfert das letzte Quäntchen Agilität eines Leichtbau-Konzepts und die berauschende Spitzenleistung der europäischen Konkurrenz für das unbezahlbare Gefühl, mit diesem Motorrad an jeden Ort der Welt fahren und – was noch wichtiger ist – auch wieder zurückkommen zu können.

Der „Preis eines Fehlers“: Das Ignorieren der „User“-Fahrmodi

Die Africa Twin bietet zwei individuell konfigurierbare „User“-Fahrmodi. Der größte Fehler ist es, diese mächtigen Werkzeuge nicht zu nutzen.

  • Problem: Ein Fahrer wechselt zwischen den Standardmodi ‚Tour‘, ‚Urban‘ und ‚Gravel‘, die aber nie zu 100 % zu seinem Stil oder der Situation passen.
  • Lösung: Konfiguration von „User 1“ als aggressiver Straßen-Modus (z.B. Power 1, Motorbremse 1, TC 2, Fahrwerk Hard) und „User 2“ als persönlicher Offroad-Modus (z.B. Power 4, Motorbremse 3, TC 6, ABS-Offroad, Fahrwerk Offroad).
  • Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Der Fahrer nutzt nicht das volle Potenzial des teuren Elektronikpakets. Er kämpft im Gelände mit einer zu aggressiven Gasannahme oder wünscht sich auf der Straße ein strafferes Fahrwerk. Die „Kosten“ sind ein Verlust an Fahrspaß, Kontrolle und Sicherheit. Man besitzt einen Maßanzug, trägt ihn aber von der Stange.

Die Konkurrenz: Der Kampf der Philosophien

Die Africa Twin kämpft gegen die etablierten Platzhirsche aus Europa.

Modell
Motor
Leistung
Gewicht
Stärken
Schwächen
Honda Africa Twin Adv Sp
2-Zylinder-Reihe
102 PS
243 kg
Zuverlässigkeit, DCT, exzellentes Fahrwerk
Hohes Gewicht, geringere Spitzenleistung
BMW R 1300 GS
2-Zylinder-Boxer
145 PS
237 kg
Agiles Handling, niedriges Gewicht, Drehmoment
Polarisierendes Design, Komplexität
Ducati DesertX
L-Twin
110 PS
223 kg
Überragende Offroad-Performance, starker Motor
Hohe Sitzhöhe, weniger Touren-Komfort

Die BMW ist der technologisch überlegene, leichtere und agilere Alleskönner. Die Ducati ist die kompromisslose Waffe für ambitioniertes Offroad-Fahren. Die Honda ist der unzerstörbare Globetrotter – das Motorrad, dem man am ehesten zutraut, eine Apokalypse zu überstehen.

Fazit: Für wen ist die Africa Twin die richtige Wahl?

Die Honda Africa Twin Adventure Sports ist das perfekte Motorrad für den erfahrenen Weltenbummler und den pragmatischen Tourenfahrer, für den Zuverlässigkeit, Komfort und echte Allround-Fähigkeiten an erster Stelle stehen. Sie ist die Wahl für den Fahrer, der weiß, dass Abenteuer nicht auf dem Datenblatt, sondern da draußen in der realen Welt stattfinden.

Sie mag nicht die schnellste, stärkste oder leichteste Reiseenduro sein. Aber sie ist vielleicht die ehrlichste, robusteste und vertrauenswürdigste Partnerin für die Reise deines Lebens. Sie ist nicht nur ein Motorrad, sie ist eine Legende – und das aus gutem Grund.

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