Erinnern Sie sich an den Sound? Dieses heisere, turbinenartige Kreischen, das erst jenseits der 10.000 Touren beginnt und in einem hysterischen Schrei bei 15.000 gipfelt. Es ist der Klang einer fast ausgestorbenen Spezies: des reinrassigen 600er-Vierzylinder-Supersportlers. Jahrelang mussten Puristen zusehen, wie diese Kategorie zugunsten drehmomentstärkerer, aber charakterlich oft zahmerer Zweizylinder ausgedünnt wurde. Doch 2024 vollbrachte Honda ein kleines Wunder und holte die legendäre CBR600RR, ausgestattet mit modernster Elektronik, zurück nach Europa. Für 2025 rollt sie mit neuen Farben weiter. Doch ist sie mehr als nur ein nostalgisches Relikt? Ist sie eine echte Alternative in der modernen Sportmotorrad-Welt?
Die Wiedergeburt einer Legende: Was macht die neue CBR600RR aus?
Unter dem vertrauten, aber geschärften Design verbirgt sich eine faszinierende Mischung aus klassischer 600er-Tugend und moderner Hightech.

Das Herzstück: Der Reihenvierzylinder-Motor im Detail
Das Herzstück ist und bleibt der 599-ccm-Reihenvierzylinder. Er wurde für die Euro-5+-Norm umfassend überarbeitet und leistet nun 121 PS bei unglaublichen 14.250 U/min. Er ist ein Motor, der gefordert und gedreht werden will. Seine Belohnung ist eine explosive Leistungsentfaltung im oberen Drehzahlbereich, die süchtig macht.
Das Chassis: Ein Meisterstück der Agilität
Die CBR600RR war schon immer berühmt für ihr fast schon telepathisches Handling. Der Brückenrahmen aus Aluminium, die hochwertige Showa Big Piston-Gabel und die Unit Pro-Link-Hinterradaufhängung wurden im Detail verfeinert. Mit nur 193 kg vollgetankt ist sie federleicht und lässt sich mit spielerischer Präzision dirigieren.
Moderne Zeiten: Das komplette Elektronikpaket aus der Fireblade
Hier fand die größte Modernisierung statt. Die CBR600RR erbt die komplette Elektronik-Suite ihrer großen Schwester, der Fireblade. Eine 6-Achsen-IMU steuert ein Kurven-ABS, eine mehrstufige Traktionskontrolle (HSTC), eine Wheelie-Kontrolle und eine einstellbare Motorbremse. Gesteuert wird alles über ein modernes TFT-Farbdisplay.
Der Schrei nach Drehzahl: Der X-Faktor des 600er-Konzepts
In einer Welt, die von Drehmoment besessen ist, zelebriert die CBR600RR die pure, ungefilterte Drehzahl. Und genau das macht sie so einzigartig.
Warum 14.250 U/min mehr Spaß machen können als pures Drehmoment
Moderne Zweizylinder schieben aus dem Keller an, aber oft ist die Show schon bei 9.000 Touren vorbei. Die CBR600RR erwacht hier erst zum Leben. Das Gefühl, den Motor durch die Gänge zu peitschen und die volle Leistung aktiv „erarbeiten“ zu müssen, ist eine unglaublich involvierende und befriedigende Erfahrung. Man ist kein Passagier, man ist der Dirigent eines hochdrehenden Orchesters.
Tipp des Experten von Mathias Kalb: „Moderne Motorräder geben dir ihre Leistung auf dem Silbertablett. Die CBR600RR verlangt, dass du sie dir verdienst. Und die Belohnung, wenn die Nadel die 10.000er-Marke passiert und der Motor explodiert, ist pure, ungefilterte Ekstase. Das ist der Stoff, aus dem Heldengeschichten sind.“
Das analoge Fahrgefühl im digitalen Zeitalter
Trotz aller Elektronik ist das Kerngefühl der CBR600RR herrlich analog. Das Chassis gibt ein kristallklares Feedback, man spürt genau, was die Reifen tun. Die Elektronik ist ein Sicherheitsnetz im Hintergrund, kein Filter, der das Erlebnis verwässert.
Gebaut für die Rennstrecke: Aerodynamik und Ergonomie
Jedes Detail an der CBR600RR schreit „Rennstrecke“.
MotoGP-inspirierte Winglets: Abtrieb für mehr Stabilität
Die in die Verkleidung integrierten Winglets sind keine Show. Sie stammen direkt aus dem MotoGP-Programm von Honda und erzeugen bei hohem Tempo spürbaren Anpressdruck auf das Vorderrad. Das erhöht die Stabilität beim Anbremsen und reduziert die Wheelie-Neigung.
Die Ergonomie: Kompromisslos sportlich
Die Sitzposition ist tief, die Lenkerstummel sind tief angesetzt, die Rasten hoch. Das ist eine reinrassige Sport-Ergonomie, die auf der Rennstrecke perfekt funktioniert, auf der Landstraße aber eine gewisse Leidensfähigkeit erfordert.

Im Grenzbereich: Die CBR600RR auf dem Racetrack
Hier, und nur hier, entfaltet die „kleine“ Honda ihr volles, beeindruckendes Potenzial.
Ein Skalpell für Kurven: Handling und Präzision
Dank ihres geringen Gewichts und der zentralisierten Massen ist das Handling der CBR600RR eine Offenbarung. Sie kippt fast von selbst in Schräglage, hält die Linie mit stoischer Präzision und lässt sich mühelos korrigieren. Sie ist ein Skalpell in einer Welt der Vorschlaghämmer.
Die Bremsperformance mit modernem Kurven-ABS
Die radialen Vierkolben-Bremssättel bieten einen klaren Druckpunkt und eine starke, gut dosierbare Verzögerung. Das moderne Kurven-ABS sorgt dabei für maximale Sicherheit, selbst wenn man in Schräglage in die Eisen steigen muss.
Wie die Elektronik dem Fahrer hilft, schneller zu werden
Die Traktionskontrolle und die Wheelie-Kontrolle sind so fein abgestimmt, dass sie dem Fahrer erlauben, am Limit zu agieren, ohne ihn zu bevormunden. Sie geben das Vertrauen, früher und härter ans Gas zu gehen.
Der Preis der Nostalgie: Kosten und Unterhalt
Ein reinrassiges Sportgerät aus Japan hat seinen Preis, der aber im Vergleich zu den 1000ern moderat ausfällt.
Der Preis der CBR600RR (2025) in Deutschland
Der Preis für die Honda CBR600RR liegt in Deutschland bei ca. 12.200 € (zzgl. Nebenkosten).
Spezifikation | Honda CBR600RR (2025) |
Motor | Flüssigkeitsgekühlter Reihen-4-Zylinder, 16 Ventile, DOHC |
Hubraum | 599 ccm |
Leistung | 89 kW (121 PS) bei 14.250 U/min |
Drehmoment | 63 Nm bei 11.500 U/min |
Elektronik | 6-Achsen IMU, Kurven-ABS, Traktionskontrolle, Wheelie Control |
Sitzhöhe | 820 mm |
Tankinhalt | 18 Liter |
Gewicht (fahrfertig) | 193 kg |
Preis (Basis) | ca. 12.200 € zzgl. Nebenkosten |
Honda-Zuverlässigkeit und Wartungskosten
Die CBR-Motoren sind legendär für ihre Haltbarkeit. Die Wartungskosten sind für einen Supersportler vergleichsweise moderat.

Eine aussterbende Art? Die CBR600RR im Konkurrenzumfeld
Die CBR600RR steht in einem stark veränderten Marktumfeld.
Merkmal | Honda CBR600RR | Kawasaki Ninja ZX-6R | Yamaha R7 |
Motor | Reihen-4 | Reihen-4 | Reihen-2 |
Leistung | 121 PS | 129 PS (mit Ram-Air) | 73,4 PS |
Gewicht (fahrfertig) | 193 kg | 198 kg | 188 kg |
Elektronik-Highlight | 6-Achsen IMU, Winglets | Quickshifter, KTRC | – |
Preis (Basis) | ca. 12.200 € | ca. 12.795 € | ca. 9.874 € |
vs. Kawasaki Ninja ZX-6R: Der letzte direkte Rivale
Die „636er“ Ninja ist der einzige verbliebene, direkte Konkurrent mit einem ähnlichen Konzept. Sie bietet etwas mehr Hubraum und Drehmoment, hat aber nicht das hochentwickelte Elektronikpaket der Honda.
vs. Yamaha R7: Die moderne Zweizylinder-Alternative
Die R7 ist deutlich günstiger und im Alltag dank ihres drehmomentstarken Zweizylinders einfacher zu fahren. Auf der Rennstrecke kann sie jedoch bei Motorleistung und Fahrwerk nicht mit der CBR mithalten. Es ist eine Frage der Philosophie.
vs. Aprilia RS 660: Italienische Hightech-Konkurrenz
Die RS 660 ist ebenfalls eine moderne Zweizylinder-Konstruktion, aber mit einem sehr sportlichen Anspruch und einem tollen Elektronikpaket. Sie ist der vielleicht stärkste Allround-Konkurrent, bietet aber nicht das explosive Hochdrehzahl-Erlebnis der Honda.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ist die CBR600RR für die reine Landstraßennutzung geeignet?
Nur für sehr sportliche Fahrer mit robusten Handgelenken. Die extreme Sitzposition und der auf hohe Drehzahlen ausgelegte Motor machen sie auf Dauer anstrengend. Ihr Potenzial entfaltet sie erst bei hohem Tempo.
Ist die Sitzposition für den Alltag zu extrem?
Ja. Für den täglichen Weg zur Arbeit oder den Stadtverkehr ist sie ungeeignet und unkomfortabel. Sie ist ein Sportgerät, kein Alltagsfahrzeug.
Reichen 121 PS im Jahr 2025 noch aus?
Auf der Rennstrecke: absolut! Auf den meisten Kursen ist das Handling wichtiger als pure Leistung. 121 PS, die man voll nutzen kann, machen oft mehr Spaß und sind schneller als 210 PS, vor denen man Angst hat.
Für wen ist dieses Motorrad die richtige Wahl?
Für den Puristen. Für den ambitionierten Hobby-Racer, der ein pures, unverfälschtes Fahrerlebnis sucht. Für jeden, der die goldene Ära der Supersportler vermisst hat und ein modernes, zuverlässiges Motorrad mit genau diesem Charakter sucht.
Fazit: Hat die 600er-Supersport-Klasse noch eine Zukunft?
Die Honda CBR600RR ist eine Antwort auf eine Frage, die viele schon vergessen hatten zu stellen. Sie ist ein Motorrad aus tiefster Überzeugung. Ein Bekenntnis zum hochdrehenden Vierzylinder, zur Leichtigkeit und zur Präzision. Sie ist vielleicht nicht das vernünftigste Sportmotorrad, das man 2025 kaufen kann. Aber sie ist womöglich das ehrlichste und emotionalste. Sie ist der Beweis, dass wahrer Fahrspaß nicht von Drehmoment-Tabellen abhängt, sondern vom Puls des Fahrers, wenn die Nadel in den roten Bereich schnellt.
Tipp des Experten von Mathias Kalb: „Dieses Motorrad dreht sich nicht nur; es kommuniziert mit dir durch seine Vibrationen, sein Handling und seinen Sound. Es ist ein Grad an Verbundenheit und Feedback, den viele schwerere, stärkere Motorräder verlernt haben zu bieten. Das macht es zu einem unschätzbaren Werkzeug für jeden, der seine Fahrtechnik wirklich verbessern will.“
Vor- und Nachteile
Pro (Vorteile) | Contra (Nachteile) |
✅ Faszinierender, hochdrehender Vierzylinder-Motor | ❌ Extrem sportliche, unkomfortable Sitzposition |
✅ Rasiermesserscharfes, ultra-agiles Handling | ❌ Leistung im unteren Drehzahlbereich sehr gering |
✅ Komplette, moderne Elektronik-Suite | ❌ Für den Alltags- und Straßeneinsatz kaum geeignet |
✅ Geringes Gewicht und hohe Präzision | ❌ Sehr nischenorientiertes Konzept |
✅ Exzellente Honda-Verarbeitungsqualität |
Urteil des Redakteurs: Mathias Kalbs persönliches Fazit
Ich bin Honda unendlich dankbar für dieses Motorrad. Es ist ein rebellischer Akt in einer vernünftigen Welt. Die CBR600RR ist ein Liebesbrief an eine vergangene Ära, geschrieben mit der Tinte der modernsten Technologie. Sie zu fahren ist anstrengend, fordernd und absolut herrlich. Sie ist kein Allrounder, sie ist ein Spezialist. Und in ihrer Nische, als reines Instrument für maximalen Fahrspaß auf der Rennstrecke, ist sie auch 2025 noch eine Königin. Ein Motorrad für das Herz, nicht für den Kopf. Und das ist wunderbar so.