Ducati Panigale V4 S (2025) im Test: Die rote Göttin der Rennstrecke?

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

Die Ducati Panigale V4 ist mehr als nur ein Superbike; sie ist eine rollende Skulptur, ein Bekenntnis zur Performance und die direkteste Verbindung zur MotoGP, die man für Geld kaufen kann. Mit jeder neuen Generation verschiebt sie die Grenzen des technisch Machbaren weiter. Für das Modelljahr 2025 wurde sie erneut verfeinert, um noch schneller, aber auch fahrbarer zu werden. Doch diese Evolution wirft eine entscheidende Frage auf: Ist dieses Motorrad noch für den normalen sterblichen Fahrer gebaut, oder ist es ein reines Qualifikations-Werkzeug für Profis?

Das Herzstück: Was macht den Desmosedici Stradale V4 so einzigartig?

Der 1.103-Kubik-V4-Motor mit gegenläufiger Kurbelwelle ist ein direktes Derivat des MotoGP-Triebwerks und das emotionale Zentrum der Panigale. Er leistet 215,5 PS bei 13.000 U/min und liefert 123,6 Nm Drehmoment. Doch die Faszination geht weit über die reinen Daten hinaus. Der Sound ist unverkennbar: ein heiseres, bassiges Grollen im unteren Bereich, das sich zu einem infernalischen, hochfrequenten Schreien steigert, das Gänsehaut erzeugt. Die gegenläufige Kurbelwelle reduziert den gyroskopischen Effekt der Räder, was zu einer erstaunlichen Agilität bei schnellen Richtungswechseln führt und gleichzeitig die Wheelie-Neigung unterdrückt. Die Leistungsentfaltung ist, dank unzähliger Software-Updates, weniger explosiv als bei früheren Modellen, aber immer noch atemberaubend. Es ist eine Naturgewalt, die mit Respekt und Können gezähmt werden will.

Tipp von Mathias Kalb: Experimentieren Sie mit den vier Power Modes. Für die meisten Landstraßen-Situationen sind die Modi „Medium“ oder „Low“ (auf 150 PS begrenzt) die intelligentere Wahl. Sie reduzieren nicht nur die Spitzenleistung, sondern machen die Gasannahme deutlich sanfter, was zu einer saubereren und letztlich schnelleren Linie führt.

Technische Daten der Ducati Panigale V4 S (2025)

Merkmal
Daten
Motor
Flüssigkeitsgekühlter Desmosedici Stradale 90° V4
Hubraum
1.103 cm³
Leistung
158,5 kW (215,5 PS) bei 13.000 U/min
Drehmoment
123,6 Nm bei 9.500 U/min
Sitzhöhe
850 mm
Gewicht (fahrfertig)
194,5 kg
Tankinhalt
17 Liter
Fahrwerk vorne
Öhlins NPX25/30 semi-aktive Gasdruck-Gabel, voll einstellbar
Fahrwerk hinten
Öhlins TTX36 semi-aktives Federbein, voll einstellbar
Bremsen vorne
Zwei 330-mm-Scheiben, Brembo Stylema R Monoblock-Sättel
Preis (Deutschland)
ab 32.390 € (Stand 2025)

Chassis und Handling: Wie fährt sich ein MotoGP-Replika?

Die Panigale V4 S ist ein Präzisionsinstrument. Der „Front Frame“ aus Aluminium nutzt den Motor als tragendes Element, was zu einer extremen Kompaktheit und Steifigkeit führt. In Kombination mit dem semi-aktiven Öhlins Smart EC 2.0 Fahrwerk ergibt sich ein Fahrerlebnis von beispielloser Transparenz. Das Motorrad kommuniziert jedes Detail des Asphalts direkt an den Fahrer. Das Einlenkverhalten ist rasiermesserscharf, die Stabilität in maximaler Schräglage absolut unerschütterlich. Die Brembo Stylema R Bremsen sind die Referenz in Sachen Bremskraft und Dosierbarkeit. Auf der Rennstrecke ist dieses Gesamtpaket eine Offenbarung. Es ermöglicht Rundenzeiten, die vor kurzem nur mit reinen Rennmaschinen möglich waren.

Der Ingenieur-Kompromiss: Die Hitze der Leidenschaft

Wer sich für die extreme Leistungsdichte und das kompakte Packaging des V4-Motors entscheidet, muss einen erheblichen Kompromiss eingehen: Hitzemanagement. Trotz aerodynamischer „Kiemen“ zur Wärmeabfuhr entwickelt die Panigale im Stadtverkehr und bei langsamem Tempo eine Abwärme, die an der Oberschenkel-Innenseite des Fahrers unangenehm bis schmerzhaft werden kann. Der Kompromiss für die thermische Effizienz bei Rennstreckentempo ist eine drastische Reduzierung des Komforts bei Alltagsgeschwindigkeiten. Dies ist kein Motorrad für den Stau oder die Fahrt zur Eisdiele an einem heißen Sommertag.

Elektronik: Wie tief greift die digitale Kontrolle ein?

Das Elektronikpaket der Panigale ist eines der fortschrittlichsten auf dem Markt und direkt aus dem Rennsport abgeleitet. Es bevormundet den Fahrer nicht, sondern erweitert dessen Fähigkeiten.

  • Analogie aus der Luftfahrt: Man kann die Elektronik mit dem Fly-by-Wire-System eines modernen Kampfjets vergleichen. Der Pilot gibt einen Steuerbefehl (z.B. „maximale Steigrate“), und der Bordcomputer übersetzt diesen in die optimalen Ruderausschläge, ohne das Flugzeug in einen instabilen Zustand zu bringen. Ähnlich gibt der Panigale-Fahrer den Befehl „maximale Beschleunigung“, und das System aus Traktions-, Wheelie-, und Slide-Kontrolle managt den Reifengrip so, dass der Befehl mit maximaler Effizienz und Sicherheit umgesetzt wird.

Tipp von Mathias Kalb: Das semi-aktive Fahrwerk ist ein mächtiges Werkzeug. Beginnen Sie im ‚Dynamic‘-Modus, der sich automatisch anpasst. Wenn Sie auf der Rennstrecke ein wiederholbares, konstantes Gefühl bevorzugen, wechseln Sie in den ‚Fixed‘-Modus und passen Sie die Dämpfung manuell an. So verhält sich das Fahrwerk in jeder Runde exakt gleich.

Der „Preis eines Fehlers“: Falsche Sitzposition und ihre Folgen

Der häufigste Fehler bei Fahrern, die auf ein derart radikales Superbike umsteigen, ist eine passive und verkrampfte Sitzposition.

  • Problem: Der Fahrer „klammert“ sich am Lenker fest und sitzt steif auf dem Motorrad.
  • Lösung: Aktiver „Hang-Off“-Fahrstil, Körperspannung aus Rumpf und Beinen, lockere Arme.
  • Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Die Panigale ist darauf ausgelegt, mit Körpereinsatz gefahren zu werden. Eine passive Haltung führt dazu, dass das Motorrad nicht sauber einlenkt und in Schräglage instabil wirkt. Der „Preis“ ist nicht nur ein massiver Verlust an Fahrspaß und Sicherheit. Der verkrampfte Griff am Lenker führt zu unbewussten kleinen Lenkimpulsen, die das Fahrwerk permanent beunruhigen und einen erhöhten, ungleichmäßigen Reifenverschleiß an den Flanken verursachen. Dies kann die Lebensdauer eines teuren Reifensatzes (ca. 450 €) um 20-30% reduzieren.

Die Rivalen: Italienische Emotion vs. deutsche Effizienz

Der Erzrivale der Panigale V4 S ist seit Jahren die BMW S 1000 RR.

Modell
Motor
Leistung
Gewicht
Stärken
Schwächen
Ducati Panigale V4 S
4-Zylinder V4
215,5 PS
194,5 kg
Emotion, brachiale Leistung, Top-Fahrwerk
Extreme Hitzeentwicklung, sehr hoher Preis
BMW S 1000 RR
4-Zylinder-Reihe
210 PS
197 kg
Intelligente Elektronik, beherrschbare Leistung
Weniger „Emotion“ als V4, weniger exklusiv

Der Kampf ist einer der Philosophien. Die BMW ist der kühle, hyper-effiziente Athlet, dessen Elektronik darauf ausgelegt ist, eine breite Masse an Fahrern schneller zu machen. Die Ducati ist die temperamentvolle Operndiva – fordernder, heißer, emotionaler und in den Händen eines Experten potenziell noch schneller.

Fazit: Für wen ist die Panigale V4 S die Erfüllung?

Die Ducati Panigale V4 S ist kein Motorrad, sie ist eine Erfahrung. Sie ist gebaut für den erfahrenen, solventen Piloten mit einem klaren Fokus auf die Rennstrecke. Sie ist die richtige Wahl für den Ducatista, für den ein Motorrad mehr sein muss als die Summe seiner Teile – es muss eine Seele, einen Charakter und eine Geschichte haben.

Für den reinen Landstraßenbetrieb ist sie überdimensioniert, unkomfortabel und fordert ein Maß an Selbstbeherrschung, das nur wenige besitzen. Auf der Rennstrecke jedoch, in ihrem natürlichen Habitat, verwandelt sie sich von einer anstrengenden Diva in eine telepathisch präzise Waffe. Sie ist ein kompromissloses Kunstwerk, das den schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn meisterhaft beherrscht.

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