Ducati Multistrada V4 S (2025) im Test: Der 170-PS-Alleskönner?

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

Seit ihrer Einführung hat die Ducati Multistrada den Anspruch, vier Motorräder in einem zu sein: Sportmotorrad, Tourenmaschine, Enduro und Urban Bike. Mit der V4-Generation, insbesondere in der S-Version, treibt Ducati diesen Anspruch auf die Spitze. Angetrieben von einem MotoGP-abgeleiteten V4-Motor, ausgestattet mit wegweisender Radar-Technologie und einem semi-aktiven Fahrwerk, will sie nicht weniger als die ultimative Reiseenduro sein. Doch ist diese technologische tour de force wirklich der perfekte Kompromiss, oder geht in der schieren Fülle an Features der Charakter verloren?

Der V4 Granturismo: Ist das ein Superbike-Motor in einer Reiseenduro?

Ja und nein. Der 1.158-Kubik-V4-Motor ist ein direktes Derivat des Panigale-Triebwerks, wurde aber für seinen Einsatzzweck fundamental verändert. Mit 170 PS bei 10.500 U/min ist er der leistungsstärkste Motor seiner Klasse, doch seine wahre Magie liegt im Detail. Ducati hat bewusst auf die desmodromische Ventilsteuerung verzichtet. Das Ergebnis: Rekordverdächtige Wartungsintervalle von 60.000 km für die Ventilspielkontrolle. Der Motor kombiniert eine seidig-weiche Laufkultur bei niedrigen Drehzahlen mit einer explosiven, aber stets kontrollierbaren Leistungsentfaltung im oberen Bereich. Er kann sanft wie ein Lamm durch die Stadt schnurren und im nächsten Moment auf dem Alpenpass brüllen wie ein Löwe. Die Zylinderabschaltung im Stand und bei geringer Last reduziert zudem Wärmeentwicklung und Verbrauch – ein intelligentes Detail für den Alltagsbetrieb.

Tipp von Mathias Kalb: Nehmen Sie sich die Zeit, die vier Power Modes zu verstehen. Für 90 % aller Touren ist der ‚Touring‘-Modus mit seinen 170 PS und der sanfteren Gasannahme die perfekte Wahl. Der ‚Sport‘-Modus ist fantastisch für die engagierte Hatz, kann auf langen Etappen aber ermüdend sein.

Technische Daten der Ducati Multistrada V4 S (2025)

Merkmal
Daten
Motor
Flüssigkeitsgekühlter V4 Granturismo, 90° V4
Hubraum
1.158 cm³
Leistung
125 kW (170 PS) bei 10.500 U/min
Drehmoment
125 Nm bei 8.750 U/min
Sitzhöhe
840 – 860 mm (einstellbar)
Gewicht (fahrfertig)
243 kg
Tankinhalt
22 Liter
Fahrwerk vorne
50 mm Marzocchi Upside-Down-Gabel, semi-aktiv (Skyhook)
Fahrwerk hinten
Marzocchi Monofederbein, semi-aktiv (Skyhook)
Bremsen vorne
Zwei 330-mm-Scheiben, Brembo Stylema Monoblock-Sättel
Preis (Deutschland)
ab 24.890 € (Stand 2025)

Radar-System und Fahrwerk: Wie fährt sich die Zukunft?

Die Multistrada V4 war das erste Serienmotorrad mit Front- und Heck-Radar. Und es ist kein Gimmick, sondern ein Game-Changer für Tourenfahrer.

  • Analogie aus dem Automobilbau: Der adaptive Tempomat (ACC) funktioniert wie in einer modernen Oberklasse-Limousine. Das System hält nicht nur die Geschwindigkeit, sondern passt den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug aktiv an, indem es selbstständig bremst und beschleunigt. Auf langen Autobahn- oder Kolonnenfahrten reduziert dies den Stress für den Fahrer erheblich. Der Totwinkel-Assistent (BSD) im Heck warnt über LEDs in den Spiegeln vor Fahrzeugen, die sich von hinten nähern – ein unschätzbarer Sicherheitsgewinn.

Das semi-aktive Marzocchi Skyhook-Fahrwerk ist das zweite Gehirn des Motorrads. Es passt die Dämpfung in Echtzeit an den Fahrbahnzustand und den Fahrstil an. Das Ergebnis ist ein Fahrkomfort, der seinesgleichen sucht. Die Multistrada gleitet über schlechten Asphalt, bleibt aber in schnellen Kurven unglaublich stabil und präzise.

Der Ingenieur-Kompromiss: Das Gewicht der Technologie

Wer sich für das umfassendste Technologie- und Komfortpaket auf dem Markt entscheidet, muss den physikalischen Kompromiss des Gewichts akzeptieren. Mit 243 kg fahrfertig ist die Multistrada V4 S kein Leichtgewicht. Auf der Straße kaschiert sie ihre Pfunde durch den tiefen Schwerpunkt und die exzellente Balance meisterhaft. Im anspruchsvollen Gelände oder beim Rangieren ohne die (optionale) „Easy Lift“-Funktion ist das Gewicht jedoch spürbar und erfordert einen erfahrenen Piloten. Der Kompromiss lautet also: Maximale Stabilität und Komfort auf der Langstrecke gegen eine reduzierte Agilität in sehr engen, technischen Offroad-Passagen im Vergleich zu leichteren Konkurrenten.

Offroad-Fähigkeiten: Ist die V4 wirklich „Multi-Strada“?

Ja, aber mit einem klaren Fokus auf schnelle Schotterpisten und Feldwege. Mit dem 19-Zoll-Vorderrad und dem intelligenten ‚Enduro‘-Fahrmodus, der die Leistung auf 115 PS reduziert und die Elektronik anpasst, ist sie erstaunlich fähig. Sie lässt sich präzise dirigieren und das Fahrwerk schluckt auch gröbere Schläge. Für wirklich hartes, technisches Enduro-Gelände ist sie jedoch zu schwer, zu potent und zu teuer. Dafür hat Ducati die DesertX im Programm.

Der „Preis eines Fehlers“: Falscher Reifendruck auf gemischtem Terrain

Ein häufiger Fehler auf einer langen Tour, die Asphalt und Schotter kombiniert, ist es, den Reifendruck unverändert zu lassen.

  • Problem: Ein Fahrer fährt mit vollem Straßen-Luftdruck (z.B. 2,9 Bar hinten) auf eine lange Schotterpassage.
  • Lösung: Reduzierung des Drucks um 0,5 – 0,7 Bar vor der Offroad-Sektion.
  • Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Der harte Reifen findet kaum Grip und „hüpft“ über den losen Untergrund. Die Traktionskontrolle muss permanent regeln, was zu einem unruhigen, langsamen und kraftraubenden Fahrstil führt. Die „Kosten“ sind hier ein massiver Verlust an Sicherheit und Fahrspaß. Noch schlimmer: Der harte Reifen ist anfälliger für Beschädigungen durch scharfkantige Steine, was das Risiko eines Plattfußes erhöht. Der kleine Aufwand der Druckanpassung ist eine der wirkungsvollsten Maßnahmen zur Verbesserung der Offroad-Performance.

Die Rivalen: Der ewige Kampf der Giganten

Die Multistrada V4 S kämpft an der absoluten Spitze des Segments.

Modell
Motor
Leistung
Gewicht
Stärken
Schwächen
Ducati Multistrada V4 S
V4
170 PS
243 kg
Überlegener Motor, Radar-Technologie, Komfort
Hohes Gewicht, hoher Preis
BMW R 1300 GS
2-Zylinder-Boxer
145 PS
237 kg
Agiles Handling, niedriges Gewicht, Drehmoment
Weniger Spitzenleistung, polarisierendes Design
KTM 1290 Super Adv. S
2-Zylinder V-Twin
160 PS
246 kg
Sportlichstes Fahrwerk, brachiale Performance
Weniger Komfort auf langen Strecken

Die BMW R 1300 GS ist die leichtere, agilere und drehmomentstärkere Alternative. Die KTM 1290 Super Adventure S ist die radikalere, sportlichere Wahl. Die Ducati Multistrada V4 S ist der unangefochtene König der Leistung und der technologischen Innovation – der ultimative Gran Turismo der Reiseenduros.

Fazit: Für wen ist die Ducati Multistrada V4 S das perfekte Motorrad?

Die Ducati Multistrada V4 S ist das Motorrad für den erfahrenen, technologie-affinen Tourenfahrer, der keine Kompromisse bei Leistung, Komfort und Sicherheit eingehen will. Sie ist die perfekte Wahl für den Piloten, der die Souveränität von 170 PS auf der Autobahn genauso schätzt wie den Komfort eines semi-aktiven Fahrwerks auf einer maroden Landstraße und die Sicherheit eines Radar-Systems im dichten Verkehr.

Sie ist kein Hard-Enduro-Gerät und kein Leichtgewicht für die Stadt. Sie ist die technologische Speerspitze des Tourensegments, ein Statement auf zwei Rädern. Sie ist das eine Motorrad für den Fahrer, der alles will und bereit ist, dafür den entsprechenden Preis zu zahlen. Und für diesen Fahrer ist sie verdammt nah an der Perfektion.

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