Ducati Multistrada V4 S (2026) im Test: Das V4-Skalpell im GS-Land

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

In Deutschland gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Wer Reise-Enduro fährt, fährt Boxer. Doch Ducati hält seit Jahren mit einer Maschine dagegen, die alles anders macht. Die Multistrada V4 S verzichtet auf den Kardan, verzichtet auf den Boxer und verzichtet (zumindest beim Motor) auf Traditionen. Ist sie auch 2026 die bessere, emotionalere Alternative zum Platzhirsch aus Bayern?

Wenn du vor der Multistrada V4 S stehst, siehst du kein „Nutzfahrzeug“. Sie wirkt muskulös, breitschultrig, fast wie ein Panigale auf Stelzen. Die Verarbeitung ist exquisit. Wo andere Plastikwüsten bieten, liefert Ducati lackierte Flächen und edle Materialien. Aber der eigentliche Star verbirgt sich unter der Verkleidung: Der V4 Granturismo. Kein Rasseln, kein Schütteln im Stand – nur ein sattes, tiefes Wummern.

Motor: 170 PS für die große Reise?

Braucht man 170 PS in einer Reise-Enduro? Nein. Will man sie? Oh ja! Der 1.158 ccm V4 ist ein Meisterwerk. Im Gegensatz zu den Sportmotoren nutzt er herkömmliche Ventilfedern statt der Desmodromik. Der Vorteil: Ein Ventilspiel-Service ist erst bei 60.000 km fällig. Das ist Weltreise-Niveau.

Im Fahrbetrieb zeigt der Motor zwei Gesichter:

  1. Bis 6.000 U/min: Seidig weich, ruckelfrei auch im Stadtverkehr. Die erweiterte Zylinderabschaltung (auch während der Fahrt bei wenig Last) sorgt dafür, dass einem an der Ampel nicht mehr die Oberschenkel gegrillt werden – ein riesiger Fortschritt zu den ersten Modellen.
  2. Ab 7.000 U/min: Das Biest erwacht. Der V4 schiebt mit einer Vehemenz an, die einer R 1300 GS Tränen in die Augen treibt. Überholen ist keine Frage der Lücke, sondern nur ein Gedanke.

Fahrwerk & Tech: Skyhook bügelt alles glatt

Das semi-aktive Skyhook-Fahrwerk von Marzocchi ist Benchmark. Es erkennt Bodenwellen, bevor du sie spürst. Im „Touring“-Modus gleitest du wie auf einem fliegenden Teppich, im „Sport“-Modus wird die Fuhre straff und präzise. Dank des 19-Zoll-Vorderrads lenkt die Multi neutral und stabil ein. Sie kippt nicht so nervös in die Kurve wie eine KTM, sondern zieht souveräne, schnelle Radien.

Redakteur-Tipp: Vertraut dem Radar-System (ACC)! Anfangs ist es gruselig, wenn das Motorrad auf der Autobahn selbstständig bremst und beschleunigt, um den Abstand zum Auto zu halten. Aber nach 500 km Autobahn willst du nie wieder ohne fahren. Es ist der größte Komfortgewinn für Langstreckenfahrer seit der Erfindung der Heizgriffe.

Der Haken: Durst und Preis

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Der V4 will gefüttert werden. Unter 6,5 bis 7 Litern bewegt man die Multi selten artgerecht. Bei zügiger Gangart auf der deutschen Autobahn fließt der Sprit in Strömen. Da ist der Boxer sparsamer.

Der Konkurrenz-Check

Das Duell der Giganten.

Feature
Ducati Multistrada V4 S (2026)
BMW R 1300 GS (2026)
KTM 1390 Super Adventure S
Motor
V4 (1.158 ccm)
2-Zyl. Boxer (1.300 ccm)
V2 (1.350 ccm)
Leistung
170 PS (125 kW)
145 PS (107 kW)
160 PS (118 kW)
Drehmoment
125 Nm
149 Nm
138 Nm
Gewicht (fahrfertig)
ca. 243 kg
ca. 237 kg
ca. 227 kg
Antrieb
Kette
Kardan
Kette
Preis (Basis DE)
ca. 24.590 €*
ca. 20.300 €*
ca. 22.499 €*

*Preise sind UVP zzgl. Nebenkosten. Achtung: Mit „Full Option“ (Radar, Koffer, Akrapovic) kratzt die Ducati an der 30.000-Euro-Marke!

Was sagt uns das? Die BMW hat den Kardan-Vorteil und mehr Drehmoment untenrum (besser für Schaltfaule). Die KTM ist das wilde Tier. Die Ducati ist der Sportwagen im SUV-Kleid.

Für wen ist die Multistrada V4 S?

  • Für Umsteiger: Du kommst vom Sportler oder Power-Naked, willst aber bequem sitzen? Hier musst du motortechnisch auf nichts verzichten.
  • Für Technik-Pioniere: Radar vorne und hinten, Totwinkel-Warner, Absenk-Automatik im Stand – mehr High-Tech gibt es nirgends.
  • Für Genießer: Du willst Italien-Flair, aber mit deutscher Zuverlässigkeit (60k Service-Intervall).

Fazit: Mathias Kalbs Meinung

„Die Ducati Multistrada V4 S (2026) ist das vielleicht kompletteste Motorrad der Welt. Sie kann bummeln, sie kann rasen, sie kann reisen. Der Motor ist ein Gedicht, das Fahrwerk Referenzklasse. Ja, der fehlende Kardan stört manche Tourenfahrer, und der Verbrauch ist nicht zeitgemäß. Aber die Emotionen, die dieser V4 freisetzt, sind jeden Cent wert. Sie ist die unvernünftige Vernunft-Entscheidung. Wer das Geld hat, kauft hier das ‚Dolce Vita‘ mit Nachbrenner.“

Bewertung: 9.0 / 10

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