Triumph Tiger 900 GT Pro / Rally Pro (2025) im Test: Ein Tiger, zwei Reviere

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Geschrieben von Mathias Kalb

Zurzeit besitze ich zwei Motorräder: einen Honda ADV-Roller für den Alltag und eine Kawasaki Ninja 1000 zum Beschleunigen am Wochenende.

Mit der Tiger 900 hat Triumph ein klares Statement gesetzt: Statt eines Kompromisses für alle bietet man zwei spezialisierte Werkzeuge für unterschiedliche Missionen. Die GT Pro ist der elegante Gran Turismo für den Asphalt, die Rally Pro der unerschrockene Abenteurer für das grobe Geläuf. Beide teilen sich den gleichen, charakterstarken Dreizylinder-Motor und eine umfangreiche Ausstattung, doch in ihrem Herzen sind sie grundverschieden. Welcher Tiger ist der König seines Reviers?

Das Herzstück: Der einzigartige T-Plane-Dreizylinder

Der 888-Kubik-Reihendreizylinder mit der T-Plane-Kurbelwelle ist das Herzstück beider Modelle und wurde für 2025 nochmals verfeinert. Er leistet nun 108 PS, aber viel wichtiger ist die Charakteristik. Die ungleichmäßige Zündfolge (1-3-2) verleiht ihm im unteren Drehzahlbereich den pulsierenden, traktionsstarken Charakter eines Zweizylinders – perfekt für die kontrollierte Kraftabgabe im Gelände. Im oberen Drehzahlbereich verwandelt er sich in einen typisch britischen Triple: drehfreudig, kraftvoll und mit einem süchtig machenden, heiseren Sound. Mit 90 Nm Drehmoment bietet er in jeder Lebenslage souveränen Schub. Dieser Motor ist kein anonymer Antrieb, er ist ein Charakterdarsteller.

Tipp von Mathias Kalb: Die Brembo Stylema® Bremssättel sind extrem potent. Nehmen Sie sich Zeit, um ein Gefühl für den Druckpunkt zu entwickeln. Insbesondere im „Road“-Modus ist die Dosierbarkeit exzellent. Für den reinen Offroad-Einsatz mit der Rally Pro empfiehlt sich der „Offroad“-Fahrmodus, der das ABS am Hinterrad deaktiviert und eine sensiblere Regelung am Vorderrad ermöglicht.

Technische Daten: Zwei Brüder im Geiste, nicht im Körper

Merkmal
Tiger 900 GT Pro (Straße)
Tiger 900 Rally Pro (Gelände)
Motor
888 cm³ T-Plane Triple, 108 PS, 90 Nm
(identisch)
Federweg (v/h)
180 mm / 170 mm
240 mm / 230 mm
Fahrwerk
Marzocchi, hinten elektr. einstellbar
Showa, voll manuell einstellbar
Räder
19″/17″ Gussräder
21″/17″ Speichenräder (schlauchlos)
Sitzhöhe
820 – 840 mm
860 – 880 mm
Gewicht (fahrfertig)
219 kg
228 kg
Preis (Deutschland)
ab 15.545 €
ab 17.145 €

Fahrverhalten: Asphalt-Athlet gegen Schotter-Spezialist

Hier zeigen sich die fundamentalen Unterschiede:

  • GT Pro: Mit ihren kürzeren Federwegen, der 19-Zoll-Front und dem elektronisch verstellbaren Heckfederbein ist sie eine Königin der Landstraße. Sie lenkt präzise ein, bleibt in Kurven stoisch stabil und bietet einen fantastischen Kompromiss aus sportlicher Straffheit und Tourenkomfort. Das elektronische Fahrwerk ist ein Segen für Fahrer, die oft mit wechselnder Beladung (Sozius, Gepäck) unterwegs sind.
  • Rally Pro: Sie ist eine komplett andere Maschine. Die langen Showa-Federwege und das 21-Zoll-Vorderrad lassen sie förmlich über schlechte Straßen und Schotterpisten schweben. Im Gelände bietet sie eine überragende Performance, die an reinrassige Enduros erinnert. Auf der Straße ist sie komfortabler, aber durch die Geometrie und die längeren Federwege weniger präzise und agil als die GT Pro.

Der Ingenieur-Kompromiss: Elektronischer Komfort vs. mechanische Kontrolle

Die Wahl des Fahrwerks ist ein klarer Kompromiss. Wer sich für die GT Pro entscheidet, erhält den Luxus und die Einfachheit eines elektronisch per Knopfdruck verstellbaren Heckfederbeins. Dies ist perfekt für den Straßeneinsatz. Im Gegenzug opfert man die volle, feinfühlige Einstellbarkeit von Druck- und Zugstufe, die im anspruchsvollen Gelände nötig ist. Der Fahrer der Rally Pro muss zwar zum Werkzeug greifen, kann sein Fahrwerk aber perfekt auf jeden Untergrund und Fahrstil anpassen – ein Muss für den ambitionierten Offroad-Piloten.

Ausstattung und Ergonomie: Volles Haus bei beiden

Beide „Pro“-Modelle sind ab Werk voll ausgestattet: Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Quickshifter, Heizgriffe, Sitzheizung (für Fahrer und Sozius!), Tempomat, Hauptständer und ein großes 7-Zoll-TFT-Display sind serienmäßig. Die Ergonomie ist bei beiden exzellent, aber die hohe Sitzhöhe der Rally Pro erfordert einen sicheren Stand und Erfahrung.

Der „Preis eines Fehlers“: Die falsche Reifenwahl für die Rally Pro

Ein kritischer Fehler wäre es, die Rally Pro ausschließlich auf der Straße zu bewegen und nach dem Verschleiß der Erstbereifung einen reinen Straßen-Sportreifen zu montieren.

  • Problem: Ein Fahrer montiert einen sportlichen Straßenreifen auf die 21-Zoll-Felge, um das Handling auf Asphalt zu „verbessern“.
  • Lösung: Verwendung eines modernen Reiseenduro-Reifens (z.B. Metzeler Tourance Next 2, Michelin Anakee Adventure), der sowohl auf der Straße als auch im leichten Gelände exzellent funktioniert.
  • Ergebnis (bei Nichtbeachtung): Die Fahrwerksgeometrie der Rally Pro ist für einen Reifen mit einer gewissen Eigendämpfung und einem bestimmten Profil ausgelegt. Ein steifer Sportreifen kann das Fahrverhalten nervös und kippelig machen. Die „Kosten“ sind nicht nur der Preis für den falschen Reifen, sondern der Verlust des ausbalancierten Handlings und vor allem der kompletten Offroad-Fähigkeit. Man hat das teurere Offroad-Modell gekauft und beraubt es seiner wichtigsten Eigenschaft.

Der Vergleich: Wo ordnet sich der Tiger ein?

Die Tiger 900 kämpft gegen die besten Allrounder der Mittelklasse.

Modell
Motor
Charakter
Stärken
Schwächen
Triumph Tiger 900 Rally Pro
3-Zylinder-Reihe
Der agile Offroader
Emotionaler Motor, Top-Ausstattung, agil
Hohe Sitzhöhe, ABS nicht ideal für Profis
BMW F 900 GS
2-Zylinder-Reihe
Der pragmatische Deutsche
Druckvoller Motor, leicht (optional), zugänglich
Weniger emotional, Basis-Ausstattung mager
Ducati DesertX
L-Twin
Die italienische Rennmaschine
Überragendes Fahrwerk, starker Motor, Offroad-Fokus
Extrem hohe Sitzhöhe, hoher Preis

Die BMW ist die pragmatischere, oft leichtere Wahl. Die Ducati ist die kompromisslosere Offroad-Waffe. Die Triumph Tiger 900 ist der charakterstarke Alleskönner mit dem emotionalsten Motor und der besten Serienausstattung.

Fazit: Welcher Tiger für welches Revier?

Triumph hat mit der Aufteilung der Tiger 900 eine brillante Entscheidung getroffen.

  • Die Tiger 900 GT Pro ist die perfekte Wahl für den anspruchsvollen Tourenfahrer, der 99% seiner Zeit auf Asphalt verbringt und ein komfortables, leistungsstarkes und technologisch hochmodernes Motorrad für die große Reise sucht.
  • Die Tiger 900 Rally Pro ist das ideale Motorrad für den echten Abenteurer, der keine Kompromisse bei der Geländetauglichkeit eingehen will, aber gleichzeitig ein Motorrad sucht, das auch auf der langen Anreise über die Autobahn eine exzellente Figur macht.

Beide sind herausragende Motorräder, die in ihrem jeweiligen Revier zur absoluten Spitze gehören. Die Frage ist nicht, welcher Tiger besser ist, sondern nur: Welches Abenteuer ist Deines?

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